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Freitag, März 01, 2013

Vereitelter Rettungsversuch

Gestern Donnerstag war frei hier im Taiwahn. Ich trotte mit meiner Frau so eine wenig befahrene Gasse lang, die zwischen den Wohnblocks auf die Fahrbahn mündet und in der Praxis meist als Fußweg dient. Etwa 50 Meter lang. Eine Frau lässt ihre zwei Kinder hier "frei laufen", beide machen richtig Tempo und laufen auf das Ende der Gasse zu. Eine Gasse die auf die vielbefahrene Fahrbahn mündet, wo geparkte Autos den Autofahrern jedwede Sicht nehmen. Auf der anderen Straßenseite ein kleiner Park mit Spielgeräten. Ganz vorne läuft meine Wenigkeit, noch in Gedanken versunken bin ich über ein Ereignis das erst eine Stunde zurück liegt, als ich mit dem Wagen gefahren bin:

 Ein Gewerbegebiet, ich bin auf einer Nebenspur gefahren, ein LKW nimmt jedwede Sicht auf einen Ampel-Fußgängerüberweg. Ich war vor ein paar Sekunden Rechtsabbieger gewesen mit meinem Auto, hatte Grün, aber der Fußgängerüberweg lag dort 30 Meter oder so von der Kreuzung entfernt. Natürlich haben die Fußgänger auch Grün wenn ich Grün habe. Durch die große Entfernung zur Kreuzung und den die Sicht auf den Überweg versperrenden LKW sehe ich zunächst nicht die Kinder, die fröhlich und schnell die Fahrbahn überqueren wollen. War alles kein Problem, ich war langsam und aufmerksam genug um es doch noch zu sehen.

Während ich also auf der Gasse vor mich hin trotte überlege ich gerade, wie das hätte ausgehen können. AUSLÄNDER FÄHRT KIND AN. Sicherlich wäre da die landesweite rassistische Medienhetze gegen den Engländer, der in eine Trunkenheitsfahrt mit Todesfolge verwickelt war (und möglicherweise gar nicht der Fahrer war, das Taiwanblog hat berichtet) dagegen ein Witz gewesen, jedenfalls wenn man den denkbar schlimmsten Ausgang annimmt. Ich war gerade dabei mir zu überlegen, was alles hätte geschehen können, die rituelle Vorführung des Tatverdächtigen vor Journalisten und Familienangehörigen eingeschlossen, die bei dieser Gelegenheit den Tatverdächtigen schlagen können (eine Art Polizeitradition in Taiwan, immer wieder im Fernsehen zu sehen), da sehe ich, wie das kleine Mädchen dabei ist auf die Fahrbahn zu rennen und ein Auto kommt!

Wenig Raum für Fußgänger in unserem Viertel. Hier freilich eine "richtige Straße", wie immer ohne Bürgersteig (schlechtes Handyfoto)


Reflexartig und ohne Nachzudenken will ich losrennen, das Kind festhalten und anrufen. Da passiert es. Ich sehe eine fiktive Schlagzeile vor mir.

AUSLÄNDER JAGD KLEINES MÄDCHEN IN DIE KREUZUNG!

Etwa eine Sekunde lang stelle ich mir vor, wie die Inselpresse reagieren würde, wenn das Kind überfahren würde und eine Langnase dabei gesehen würde, wie sie dem Kind hinterher läuft. Würde das so geschehen? Ich weiß es nicht. Taiwan ist ein Land, wo sogar Unfallhelfer immer wieder von den Opfern verklagt werden und auch Ausländer mussten hier schon für ihre guten Taten finanziell büßen. Ich verwerfe den Gedanken und will losrasen, aber da ist das Kind schon auf der Fahrbahn. Meine Frau stürzt hinzu, wäre zu langsam, ruft aber das Kind an, das prompt stehenbleibt. Das Auto fährt harmlos vorbei. Die Mutter kommt jetzt auch herbei.

Ich bin wenig stolz auf meine Inaktivität, andererseits kann ich auch nicht wirklich erkennen, wo ich falsch gehandelt habe. Durch die Tendenz der Taiwanpresse immer wieder Stories von kriminellen/unverschämten westlichen Ausländern zu präsentieren wird man vorsichtig und greift im Zweifelsfall lieber nicht ein. Schließlich machen die Taiwaner hier so sehr deutlich, wie sehr sie zwischen sich selbst und "uns Ausländern" unterscheiden. So gastfreundlich sie sonst auch sind.

6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Tja, was soll ich sagen: Ich habe gelernt, Verkehrsunfälle in Taiwan zu ignorieren, auch wenn es mir unglaublich schwer fällt mich nicht um Menschen in Not zu kümmern. Es geht mir nicht um Ausländer sein oder nicht sein: Wir bluten alle die selbe Farbe und ich finde die Erfahrung, dass Taiwaner sich nicht um Unfallopfer kümmern und lieber auf Rettungskräfte warten irgendwie erschreckend. Aber auch ich werde in Taiwan nicht (mehr) helfen.

Hab da mal einen Trackback da gelassen:
http://www.dunkelangst.org/2013/erste-hilfe-in-taiwan/

Anonym hat gesagt…

Wir haben uns wegen solcher Gedanken eine Dash-Cam in den SUV einbauen lassen. Da sollte es keine Probleme mit der Justiz geben.

Anonym hat gesagt…

Zitat: "Bin wenig stolz mal wieder, wenn ich Dich in Richtung Nichthelfen beeinflusst habe."

Ich denke nicht, dass du das hast! Da kannst du ganz beruhigt sein. Ich bin einfach auch in meinem Leben in vielen Ländern herum gekommen. Ich habe gelernt, mich anzupassen und das bedeutet eben auch, dass man sich in gewissen Situationen wie ein Einheimischer verhalten sollte. Ein Beispiel:

Ich war einmal auf einer wenig bekannten spanischen kanarischen Insel mit dem Namen Gomera. Jeden Tag gingen in dem kurzen Urlaub die Einheimischen schwimmen - auch bei viel Seegang bei dem ich mich nicht getraut habe auch nur darüber nachzudenken. Dann kam ein Tag, an dem die See völlig ruhig war und kein Einheimischer im Wasser zu sehen war. Ich habe mir gedacht, besser nicht ins Wasser zu gehen, denn die Einheimischen müssen irgendetwas Wissen was mir verborgen blieb. Am Abend ging die Nachricht dann herum wie ein Laubfeuer: Britin durch Unterströmung auf die offene See hinaus gezogen und ertrunken.

Wenn also alle Taiwaner an einer Unfallstelle vorbei fahren, weshalb sollte ich dann anhalten? Irgendetwas ist hier anders als in Deutschland. Und ich habe inzwischen einfach erkannt, dass ich das Problem der ersten Hilfe nicht ändern kann. Das habe ich auch schon von anderen Ausländern mitbekommen. :)

"Ludigel" hat gesagt…

Wir haben uns ja neulich im Café drüber unterhalten. Es wird sicher nur manchmal vorkommen, das Verklagt werden, aber mich bringt die Möglichkeit auch zum Vorbeifahren.

Hier war es ja eher die nicht unternommene Prävention, aber auch die war wohl richtig. Man wirkt hier ja auch anders als daheim. Was wenn sich das Kind wegen einem hinter ihr schreienden Ausländer erschreckt hätte und gerade losläuft. Man ist halt Außenseiter und Beobachter hier in der Regel, eine etwas merkwürdige Perspektive.

"Ludigel" hat gesagt…

Hihi, jetzt ist die Reihenfolge durcheinander weil ich meinen Kommentar noch mal editiert hatte und dein einen Satz mit dem in Richtung Nichhelfen beeinflusst haben wieder raus genommen habe (dache, da habe ich mich übertrieben gesorgt).

"Ludigel" hat gesagt…

Anonym: Ja, wir haben auch so ein Ding, aber es ist z.B. auf der linken Fahrzeugseite blind. Da müsste man sich erst Gedanken machen, ob die Nichtteilnahme am Unfall auch dokumentiert ist. Und wer garantiert, dass das Material nicht beschlagnahmt wird noch am Unfallort (die SD-Karte) und dann verschwindet. Verlieren ist menschlich und so wie die Presse bei Unfällen auf Ausländer losschlägt und damit die Richtung für ein Urteil vorgibt...
Wir sind hier bizarre Randerscheinungen und man muss sich das Eingreifen immer gut überlegen denke ich.